Die von Ulrich Wünsch ins Leben gerufene „Manufaktur für Führung und Mediation“ hat am 15.08.2023 eine Exkursion zu den Franckeschen Stiftungen zu Halle durchgeführt, um dort die Ausstellung „Streit. Menschen, Medien, Mechanismen im 18. Jahrhundert und heute“ (18.03.2023 bis 04.02.2024) zu besuchen.
Das Einführungsreferat wurde von Prof. Dr. Stefan Haupt gehalten.
Ausgangspunkt war dabei, dass es bereits vom 02.11.2021 bis zum 09.07.2022 im Museum der Arbeit (Hamburg) die Ausstellung „Konflikte“ gab. In dem gleichnamigen Ausstellungskatalog sind fast 50 Texte abgedruckt, die sich mit Konflikttheorie, inneren Konflikten, privaten Konflikten, Arbeitskonflikten, Gesellschaftskonflikten sowie zahlreichen weiteren Arten von Konflikten beschäftigen. Das Autorenverzeichnis liest sich wie ein „Who‘s who“. Damit geht einher, dass alle Aspekte rund um Konflikte erläutert werden und dadurch sowohl ein Einstieg in das Thema, als auch ein Überblick über dessen Komplexität geboten wird. Zu der Ausstellung „Streit“ im Waisenhaus der Franckeschen Stiftungen gibt es sowohl einen Katalog als auch ein Begleitheft. Parallel dazu findet im Stadtmuseum Halle die Korrespondenzausstellung „Streit, Zoff und Beef“ (03.07.2023 bis 24.07.2024) statt.
Diese Museumsausstellungen sind ein Indiz dafür, dass offensichtlich ein Interesse an den Themen Streit und Konflikt besteht. Unsere demokratische Grundordnung sowie das Demokratieverständnis der Mehrheit führen nicht automatisch dazu, dass Konflikte lösungsorientiert ausgetragen werden. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Streitkultur regelmäßig mit einer Polarisierung endet.
Man spricht von Ausländerfeinden (2015), den sinnbildlichen Wasserträgern für die AfD (2016), Verschwörungstheoretikern (2001, 2016), Leugnern des Klimawandels (2017), Impfgegnern und Querdenkern (2020), Putin-Verstehern (2022) sowie den Ostdeutschen als Kommunisten oder Faschisten (2023).
Es scheint, als ob nicht verinnerlicht wurde, dass Konflikte zum Leben gehören und deswegen unvermeidbar sind. Weiterhin muss verinnerlicht werden, dass jeder Konflikt gelöst werden muss.
Eine Möglichkeit besteht in der Eskalation, die zu einer sog. Lose-Lose-Situation und dem gemeinsamen Sturz in den Abgrund führen kann – das Gegenteil einer Win-Win-Lösung. Sofern es die Verhandlungsmacht erlaubt, kann alternativ versucht werden, die Gegenseite zu unterwerfen. Damit entstehen zwei neue Risiken, nämlich einerseits die sofortige Rebellion, d.h. der Konflikt dauert an. Andererseits führt auch die Unterwerfung langfristig nicht zu einer Lösung, weil schon die nächste Gelegenheit für eine Revanche genutzt wird. Damit sind Unterwerfungen, „faule Kompromisse“ oder die Flucht der Nährboden für neue Konflikte mit dem Potential zu Dysfunktionalität und Eskalation.
Eine Möglichkeit wäre, sich der Komplexität eines Streites zu stellen und sich den tatsächlichen Bedürfnissen, Motiven und Interessen zu widmen, um Konflikte nutzenorientiert zu klären und zu lösen. Die Mediation bietet ein umfassendes Instrumentarium und ist ein Verfahren, das die Bedürfnisse, Motive und Interessen der Beteiligten abbilden kann. Als Verfahren ermöglicht die Mediation in einem Transformationsprozess Erkenntnisgewinn, für den die Streitenden im Konflikt den Blick und die Einsichtsfähigkeit verloren haben. Die Anwendung und Durchführung der Mediation erfordert allerdings die Bereitschaft der Streitenden, als Medianten eine differenzierte Rolle einzunehmen sowie die Erkenntnis, dass eine gemeinsam gefundene Lösung besser als ein Sieg vor Gericht, die Unterwerfung, die Flucht oder ein Kompromiss ist.
Zu guter Letzt bleibt immer noch der Weg zum Gericht. Hier wird von den Prozessparteien regelmäßig ausgeblendet, dass es seitens des Gerichtes selten Verständnis für die eingetretene Situation, aber in jedem Fall ein Urteil gibt. Zudem wird verkannt, dass es sich bei Richtern um lebendige Wesen aus Fleisch und Blut handelt, die – wie jeder Mensch – Emotionen haben, auch wenn diese nicht auf den ersten Blick sichtbar sind.
Die Ausstellung in Halle ist in Streit-Arenen gegliedert. Dazu gehören der Marktplatz, die Universität, der königliche Hof, das Fußballstadion, die Konzertbühne sowie die Leinwand und der Bildschirm.
Für die Teilnehmer der Exkursion wurde deutlich, dass Streit etwas zutiefst Menschliches ist, das Chancen und Risiken in sich birgt, die in der Beilegung oder der Eskalation ihren Ausdruck finden können. Weiterhin wurde das Phänomen wahrgenommen, dass Konflikte oft zwischen Individuen und der Öffentlichkeit bestehen und früher deshalb auf Marktplätzen und in Universitäten ausgetragen wurden. Außerdem wurde festgestellt, dass immer versucht wurde, Konflikte klein zu halten.
In Bezug auf die Medien wurde in der Ausstellung eine Entwicklung gut sichtbar gemacht: Früher wurden Konflikte für Stummfilme und Western inszeniert, heute werden sie durch Talkshows und Reality-Shows ersetzt. Bemerkenswert ist dabei, wie die Formate – Kinoleinwand, Fernsehbildschirm (früher 4:3, heute 16:9) sowie das Display eines Smartphones – spezifisch genutzt werden. In den sozialen Medien wird im Zusammenhang mit Konflikten um Zustimmung bzw. Likes gebuhlt. Im Mittelpunkt der für die Ausstellung gewählten Beispiele stehen dabei meist die eigenen Befindlichkeiten bzw. die Selbstinszenierung, nicht jedoch der wissenschaftliche Meinungsstreit bzw. ein Erkenntnisgewinn. Es fällt auch auf, dass der Streit von den Streitenden bewusst ins Licht der Öffentlichkeit gezogen wird, um durch eine öffentliche Mehrheitsbildung – wenn auch nur gefühlt – die Bestätigung für die Wahrhaftigkeit der eigenen Position zu erhalten. In einem zweiten Schritt wird diese veröffentliche Mehrheitsmeinung von den streitenden Parteien zur absoluten Wahrheit deklariert. Bemerkenswert ist dabei, dass die Streitbeteiligten die Komplexität vereinfachen wollen, aber damit die Pluralität bzw. Diversität der Wirklichkeit leugnen und systemzerstörend wirken.
Abschließend ist festzustellen, dass die Ausstellung „Streit“ in den Franckeschen Stiftungen einen breiten Einblick in das Thema gewährt. Besonders ist dabei hervorzuheben, dass keiner der sieben Räume inhaltlich überladen ist. Der Besucher der Ausstellung wird nicht von der Informationsmenge erschlagen, sondern ist davon fasziniert, dass die Ausstellungsmacher ganz offensichtlich das Ziel hatten, ein komplexes Thema akzentuiert und überschaubar aufzubereiten, also ein menschliches Maß zu wählen.